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Zwischen Gier und Gelassenheit

  • Marian Rudnik
  • 10. Juli 2018
  • 4 Min. Lesezeit

Wenn eine Aktie im Depot immer weiter steigt und den Gewinn anwachsen lässt, passieren zwangsläufig einige Dinge.

Zuerst einmal wird die Position und damit der Anteil im Depot immer größer. Das bedeutet, dass alle Kursveränderung einen größeren Effekt auf den Depotwert haben. Man beginnt sich mehr und mehr zu fragen, wann genug genug ist und wann man seine Aktie verkaufen soll.

Vor allem, wenn die Kursgewinne eines bestimmten Unternehmens besonders explosiv ausgefallen sind und die Performance andere Vergleichswerte, ob es jetzt andere Indizes oder Werte aus der gleichen Branche sind, deutlich hinter sich gelassen hat, erhöht sich der Druck von allen Seiten.

Spätestens jetzt kommen die ersten Analysten aus ihren Löchern gekrochen. Die einen sehen weitere Höchstkurse für realistisch, die anderen beginnen den Anstieg durch ihre Kommentare schier künstlich stoppen zu wollen. Leider hat letzteres in solchen Fällen mehr Einfluss auf uns.

Bekannte Phrasen, wie "die Aktie ist zu heiß gelaufen", "eine Korrektur ist überfällig", "die Bewertung ist jetzt viel zu hoch" oder auch die immer wieder gern genommene Börsenweisheit "Gewinne mitzunehmen hat noch keinem geschadet" geistern durch das Netz.

Natürlich weiß jeder, der schon etwas länger an der Börse aktiv ist, dass man die meisten Analysen getrost in die Tonne treten kann. Leider lässt man sich dennoch oftmals davon anstecken, da diese dann mit der eigenen Sichtweise in dem Moment deckungsgleich sind. Denn, natürlich fragt man sich selbst auch, ob das denn wirklich weiter so bergauf gehen kann, wenn man sich den Chart vor Augen führt.

Simpel gesagt: man wird nervös. Der Druck von außen aber auch von innen machen es schwer rational zu bleiben. Die Emotionen gewinnen Überhand.

"Vielleicht haben die anderen Leute ja Recht, und was ist, wenn ich meinen ganzen Gewinn wieder verliere, nur weil ich an der Aktie festhalte?".

Im inneren Ohr hört man schon die schadenfrohen Stimmen, die einem Gier vorwerfen und man die Anfängerfehler der Börse missachtet hat. Und an jedem Tag, den die Aktie im Minus beendet, zweifelt man noch mehr und denkt sich "hätte ich doch mal verkauft....".

Das Beispiel Wirecard

Ja, ich weiß, über Wirecard wurde in letzter Zeit ziemlich oft geschrieben - vielleicht sogar genau so oft, wie Alfred Maydorn über Tesla oder BYD philosophiert - aber das Beispiel Wirecard im Bezug auf mein Depot und dem Umgang mit drastischen Kursanstiegen bietet sich hier einfach sehr gut an.

Zuerst einmal der Chart:

Wirecard Chart

Ich habe Anfang April bei knapp 95€ ein Wirecard-Zertifikat mit Hebel 3 gekauft, das an jeder Kursbewegung 3-fach partizipiert. Grob gesagt bewirkt ein Kursanstieg der Aktie von 1% einen Anstieg des Zertifikates von 3% etc. Dem Thema Zertifikate hatte ich in der Vergangenheit ja schonmal ein eigenen Blog-Eintrag gewidmet. (Hier der Link!).

Bei knapp über 100€ kaufte ich nochmal nach und was folgte, war eine wahnsinnige Kurs-Rallye bis zum Höchststand im Juni von 155€, was für mich bedeutete, dass ich mit dem Zertifikat 300% , oder 75.000€ im Plus war - und das ganze in nur zwei Monaten. Das war schon verrückt.

Daraufhin gab es an den Börsen eine generelle Korrektur und besonders der TecDAX und fast alle seine Werte wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der Kurs der Wirecard Aktie ging auf 130€ zurück ehe sich wieder ein Anstieg auf heute 146€ anschloss.

So, das waren die nackten Fakten und die neutrale Sicht der Dinge, was aber im Kopf während dieser Phase abgeht, das steht auf einem ganz anderen Blatt und hier komme ich wieder auf das Thema "Gier oder Gelassenheit" zu sprechen.

Anfangs war alles OK, mit den 10% Anstieg der Aktie, hatte ich durch das Hebel-Zertifikat einen Gewinn von 30%. So langsam fing man an zu schauen, wo man denn seine Grenzen setzt, also ab wann man verkaufen würde.

Jeder Kursrückgang wurde von mir kritisch hinterfragt, was jedoch bei dem Chart-Verlauf immer nur von kurzer Dauer war, denn schnell wurde jede Kursschwäche genutzt und es fanden sich wieder Käufer, die den Kurs weiter nach oben trieben.

Die Pfeile zeigen die Punkte an, an denen kleine Rücksetzer bemerkbar waren und an denen ich ernsthaft über einen Verkauf und das Absichern der Gewinne nachgedacht habe.

Aus 30% Gewinn wurden 100%, aus 100% wurden 200% und schließlich erreichte ich in der Spitze die 300%.

Hier wurde es schon extrem. Mein in das Zertifikat investiertes Geld betrug durch den Anstieg mittlerweile 100.000€ - anfangs waren es 25.000€ - und jeder Kursverlust von 1% bedeutete somit bei einem Faktor 3 einen Verlust von 3.000€.

Manche Tage taten richtig weh und fünfstellige Tagesverluste waren keine Seltenheit. Dennoch hab ich das Zertifikat bis zum heutigen Tage immer noch im Depot.

Bin ich gierig? Bin ich leichtsinnig? Ich bin auf jeden Fall nicht in Panik verfallen und habe vom Gesamtmarkt nicht auf die einzelne Aktie geschlossen. Wenn der Gesamtmarkt fällt, ist es wahrscheinlich, dass auch eine Einzelaktie nach so einem Lauf Verluste hinnehmen muss. Das habe ich mir besonders bei dem letzten heftigen Kursrückgang vor Augen geführt und mit der Erholung der Börsen im Allgemeinen gab es auch bei Wirecard eine Erholung.

Was kann man daraus lernen?

Da ich generell darauf verzichte, mir Verkaufsgrenzen nach OBEN zu setzen, zum Beispiel ab einem Gewinn von 100% zu verkaufen, war so ein Verlauf überhaupt möglich.

Wäre ich übervorsichtig gewesen und hätte mich mit 30% zufrieden gegeben, denn "ein Gewinn zu realisieren hat noch keinem geschadet", dann hätte ich bei 106€ verkauft und hätte all das, was kam, verpasst.

Ich finde den Ansatz "Gewinne laufen lassen" einfach schöner, als alle anderen vorher gebrachten Zitate. Es klingt positiver und eröffnet einem Chancen einen anfangenden Trend voll mit auszunutzen.

Natürlich bedeutet das nicht, dass ich jeden Kurseinbruch einfach so aussitze, nur muss man jedesmal die Rahmenbedingungen checken und die waren für mich bei Wirecard in dem Verlauf vollkommen gegeben.

Meine gesetzte Grenze ist jetzt bei knapp 130€ und bei einem Verkauf hätte ich dort dann immer noch 150% Gewinn gemacht. Klingt doch besser als 30% oder? Jetzt kann ich mir den weiteren Verlauf also relativ entspannt mit anschauen, denn deutlich im Plus bin ich sowieso.

Ich würde es so sehen, dass sich ohne eine gewisse Gier auch kein langfristiger Erfolg einstellt. Man muss in einer bestimmten Dosis gierig auf Kursgewinne sein, gierig darauf den richtigen Riecher gehabt zu haben und darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen - weder von außen, noch von innen. Der Grad ist schmal zwischen übertriebener Gier und angebrachter Gelassenheit und natürlich muss man auch Niederlagen hinnehmen, denn nicht immer klappt das so beispielhaft, wie in diesem Fall.

Wenn es jedoch funktioniert, dann richtig!

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