Ein Tag in meinem Leben
- Marian Rudnik
- 8. Dez. 2017
- 8 Min. Lesezeit
11. April 2017, 8:10, ein Pochen im Kopf reißt mich aus meinen Träumen. Ist das der Baulärm oder meine innere Uhr? Richtig klar wird es mir nicht, was meine Augen zum Zwinkern bewegt. Das Zwinkern wird immer klarer und schließlich blicke ich mit verschlafenen Augen Richtung Fenster, durch das ich in den blauen Himmeln schauen kann. 5 Minuten vor meinem gestellten Wecker bin ich wach - was mir eigentlich ganz gut passt, denn nicht nur die Baustelle sondert eine Art Grummeln ab, auch mein Magen meldet sich zu Wort.
Langsam quäle ich mich aus dem Bett und schaue erneut aus dem Fenster des 18. Stocks, diesmal aber auf die Baustelle vor dem Radisson Blu Hotel in Hamburg - eines der besten, die wir bei der Airline als Crewhotel haben, ebenso wie das Frühstücksbuffet.
Und bevor um kurz vor 12 mein Arbeitstag beginnt, möchte ich mich dort stärken. Das Frühstücken, das ich am Anfang des Berufsalltags in meinem aktuellen Job immer ausgelassen habe, gehört bei solchen Touren, die es morgens erlauben, mittlerweile fest zu meinem Tagesablauf.
Also ziehe ich mich kurz an und stapfe verschlafen in Richtung Aufzug. Um halb 9 erreiche ich den kleinen Empfangsbereich mit dem urigen Stehtisch, auf dem sich die Gästeliste des Hotels befindet. Mit einem Text-Marker wird meine Zimmernummer gelb hinterlegt und ich werde zu einem Tisch begleitet.
Das Buffet ist mir durch meine häufigen, beruflichen Hamburg-Übernachtungen gut bekannt. Von einer 6m breiten Saft-Theke mit dem Drink des Tages, eigentlich immer der non-alkoholische Bloody-Marian....äh Mary, über einen Koch, der einem ein Ei brät, bis hin zu Aufschnitt in Form von Wurst, Käse, Lachs und sogar Mett mit Zwiebeln, was ich bisher noch nirgendwo gesehen habe. Hier fehlt fast nichts, außer vielleicht Kaviar, was ich aber sowieso nicht essen würde.
An der Maschine mache ich mir einen Cappuccino und begebe mich mit meinem Rührei und Mett zu meinem Platz. Es ist immer noch vor 9 Uhr aber zum ersten Mal an diesem Tag checke ich die Aktienkurse, die jedoch um diese Zeit generell nicht sehr vielsagend sind.
Ich scrolle meine Beobachtungsliste durch und...DA! Ein rote Zahl. Ein Minus von 8%.
Dort bleibe ich hängen. Es handelt sich um den Kurs von Dialog Semiconductor.
Ich verharre aber nur kurz und blättere dann in der Liste weiter, bis ich unten angelangt bin und lege dann das Handy an die Seite, um mein Frühstück zu beginnen.
Der Beginn einer Trading-Idee
09:20...Jetzt nach offizieller Börseneröffnung schaue ich erneut in die Watchlist. Dialog Semiconductor ist immer noch rot, jedoch nicht mehr mit einem Minus von 8%, sondern von 20%! Da ist doch etwas im Busch! Ohne Grund fällt ein Wert mit einem so großen Volumen nicht einfach mal um ein Fünftel.
Schnell werde ich bei Google fündig und bekomme die Antwort auf den Kurssturz. Wie so oft führen Gerüchte zu einer solchen Reaktion. Diesmal wurden Gerüchte in Umlauf gebracht, dass Apple, als größter Dialog Kunde, seine gegenwärtig von Dialog hergestellten Chips, in Zukunft selbst produzieren könnte.
Nachdem ich einen kurzen Absatz dazu gelesen habe, der nicht viel Substanz beinhaltete, schalte ich wieder zurück in meine Börsen-App und nun ist das Minus schon bei 30%. "Das ist eine Chance!", denke ich und bemerke eine gewisse Anspannung und innere Unruhe. Hastig leere ich meinen Teller, schnappe mir noch schnell eine Schale Müsli und gehe daraufhin schnellen Schrittes Richtung Aufzug. Dieser bringt mich in meine Etage und nur kurze Zeit später sitze ich, den Laptop vor mir aufgeklappt, am Schreibtisch. Ich öffne die Website, die ich immer nutze, um mir diverse Charts anzeigen zu lassen.
Meine Überlegung ist folgende: So eine Reaktion auf Grund einer nicht-bestätigten Nachricht aus einer einzigen Quelle, besonders in der ersten Stunde nach Börseneröffnung, neigt sehr leicht zur Übertreibung. Viele gesetzte Limits wurden unterschritten und lösten eine automatische Verkaufswelle aus. Ich nehme mir vor, genau das auszunutzen und starre nun auf das Laptop-Bild. Mein Plan ist, dass ich abwarte, bis diese Abwärtsfahrt langsam an Schwung verliert, um dann mit der Gegenbewegung eine Kauf-Order zu platzieren.
Im Gegensatz zu meiner etwas längerfristig angelegten Strategie, Aktien zu kaufen, die sich in einem langfristigen Aufwärtstrend befinden, ist diese Strategie sehr kurzfristig angelegt aber kann mitunter große Gewinn in kurzer Zeit mit sich bringen.
Also warte ich und lange dauert es nicht, da meine ich eine Abschwächung des Abwärtstrends zu erkennen. Als es dann wieder bergauf geht steige ich ein. Das sieht man auf folgendem Bild:

35,43€ ist mein Einstiegskurs und die folgenden Minuten machen einfach nur Spaß. Der Kurs steigt und steigt und es scheint, als würden alle Verkäufer von gerade nun ein schlechtes Gewissen bekommen und wollen die Aktie unbedingt wieder zurück haben.
Bei kurzfristigen Trades, wie diesem, sichere ich oft automatisch ab, das heißt, bei unterschreiten einer Schwelle, werden meine Aktien automatisch verkauft, auch Stop-Loss genannt.
Das klingelnde Telefon reißt meine Aufmerksamkeit vom Bildschirm weg. "Guten Morgen, Herr Rudnik, Ihr Weckruf, es ist 11:00". Ups, so langsam sollte ich mich vielleicht fertig machen, vor allem weil mein Hotelzimmer immer aussieht wie ein Schlachtfeld. Ich habe das Gefühl, sobald ich meinen Koffer öffne, verteilen sich alle Klamotten, wie von Geisterhand, kreuz und quer im Raum. Ordentlich den Koffer zu packen, das bekomme ich irgendwie einfach nicht hin.
Nach dem Zähneputzen ziehe ich meine Uniform an und suche die Ecken des Zimmers nach sich noch versteckenden Socken und T-Shirts ab. Wobei, bis auf das Handy-Ladegerät habe ich bisher noch nie etwas im Zimmer vergessen. OK, das Ladegerät schon drei Mal. Ja gut, meine Sportsachen und meinen Kulturbeutel auch. Und meine Schuhe. Aber sonst wirklich noch nie!
*Klack*, passt! Alles ist verstaut und der Koffer zu. Ich schiebe meinen Koffer durch die Lobby und checke an der Rezeption aus. Nachdem ich meine Frühstücks-Rechnung bezahlt habe, werde ich mit der restlichen Crew zusammen vom Transportunternehmen abgeholt und zum Flughafen gefahren.
Die Sicherheitskontrolle in Hamburg verläuft reibungslos und schnell und wir befahren daraufhin das Flughafengelände. Unser Airbus A320 steht schon wartend auf uns am Gate. Wir stellen unsere Koffer am Flieger ab und begeben uns ins Cockpit bzw. in die Kabine.
Der Airbus wird sauber gemacht, aufgetankt und das Reinigungspersonal und die Passagiere vollziehen quasi einen fliegenden Wechsel.
An diesem Tag stehen neben dem vor uns liegenden Flug nach Frankfurt noch einmal Hamburg und Frankfurt an, bevor es dann abends nach Brüssel ins Hotel geht.
<Es ist kein Witz, erst jetzt genau in diesem Moment, als ich diese Zeilen schreibe, fällt mir auf, dass der 11. April noch ein Ereignis parat hatte.>
Der Anschlag
Die Flüge verlaufen ruhig, ich mag diese kurzen Hüpfer, denn so geht der Tag immer relativ schnell rum und abends freue ich mich wenigstens noch eine Halbzeit des Spiels vom BVB gegen AS Monaco im Brüsseler Hotel zu schauen. Wichtig dafür ist nur, dass wir pünktlich in Brüssel landen. Nach einer sanften Landung rollen wir zum Gate und nach Abschalten der Triebwerke schalte ich sofort mein Handy an, um zu schauen, ob ich schon etwas vom Spiel verpasst hab - doch, was mir mein Handy-Display anzeigt, lässt meinen Atem stocken. Aus einem langen Text erhasche ich nur die Wortfetzen "Anschlag auf BVB-Bus", "Terror", "Bombe", "Verletzung", "Absage" und bin für einen kurzen Moment regelrecht paralysiert. Dann erwache ich aber kurze Zeit später wieder aus der Starre und lese den Artikel erneut.
Was für ein Horror. Auf dem Weg ins Stadion wurde der BVB Bus von zwei Bomben getroffen und schwer beschädigt. Unvorstellbar! Aber für mich ist auch relativ schnell klar, dass das kein klassischer Terroranschlag gewesen sein kann. Irgendwas passt da nicht. Ich weiß nicht was, aber, da muss etwas anderes dahinter stecken. Die WhatsApp-Gruppe meiner Jungs aus Dortmund glüht und eine Nachricht folgt der nächsten.
Auf der 25-minütigen Fahrt vom Flughafen ins Hotel gibt es kein anderes Thema. Jeder spekuliert, verfolgt den Live-Ticker und diskutiert. Auch an der Hotelbar, wo wir noch eine Kleinigkeit essen und ein Feierabend-Bier trinken, poppt der Anschlag immer wieder auf.
Als ich dann aber übermüdet mit der Schlüsselkarte mein Hotelzimmer mit der Nachricht aufsperre, dass der BVB Spieler Marc Bartra operiert wurde, es ihm aber bis auf seine Hand gut geht und auch sonst keiner irgendwelche physischen Schäden abbekommen hat, fallen mir sehr schnell die Augen zu und ich schlafe nach diesem ereignisreichen Tag tief und fest ein.
Der Tag ist zu Ende
Der 11. April ist zwar schon etwas her, aber er ereignet sich hervorragend als beispielhafter Tagesverlauf. Klar, manchmal passiert auch gar nichts, aber manchmal geht es auch alles sehr schnell und unvorhersehbar und noch dazu kann ich mit einem aktuellen Trade Bezug auf den damaligen Trade nehmen.
Aber als erstes noch kurz zum Ausgang dieses Handels vom 11. April.
Am Folgetag verkaufte ich dann meine Aktien wieder, da die Dynamik verloren ging und ich die kurzfristig angelegten Gewinne dann auch mitnehmen wollte. Der Verkaufskurs lag dann bei 39,08€, was einen Aufschlag von 10% bedeutet. 10% in knapp 24 Stunden, das ist mehr als in Ordnung und vor alle bin ich stolz darauf gewesen, dass meine Überlegungen alle funktioniert haben. Klar, man hätte auch noch eher einsteigen können, oder auch auf einem höheren Stand wieder raus, um den Gewinn noch zu maximieren, aber die optimalen Punkte zu finden, ist sehr schwer. Deshalb war ich mit dem Ergebnis vollkommen zufrieden und das darf und muss man ab und zu einfach auch sein!
Ein Tag wiederholt sich - manchmal
So und jetzt der Bezug zu heute. Es gibt eine ähnliche Situation wieder...Und eigentlich ist sie sehr ähnlich. Uneigentlich leider nicht.
Es geht erneut um Dialog Semiconductor.
Ende November 2017 berichtete eine japanische Zeitung erneut davon, dass Apple in Zukunft die Chip-Produktion in Eigenregie durchführen würde. Und, obwohl diese Gerüchte ja im April schon einmal aufkamen, verlor die Aktie erneut knapp 20%.
Wie damals versuchte ich auch hier wieder die Gegenbewegung auszunutzen. Das funktionierte auch im ersten Moment ziemlich gut und ich war innerhalb von einer Stunde rund 5% im Plus. Im weiteren Verlauf schwankte die Aktie etwas und schloss dann am Folgetag mit einem Plus für mich von knapp 4%.
Was dann aber am nächsten Tag passierte ist eigentlich ein Unding und nicht nachvollziehbar.
Kurz vor Börseneröffnung brachte das Dialog Management eine Meldung, dass man auch 2018 weiterhin mit Apple als Partner zusammenarbeitet und es keine Änderungen in der Beziehung zueinander gibt, wohlgleich man auch zugab, dass Apple in der Lage wäre selbst in Produktion zu treten.
Bei der Meldung wurden zwei riesige, unnötige Fehler gemacht. Erstens ist die Planung bei Apple für 2018 natürlich schon längst abgeschlossen, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass 2018 unverändert bleibt für Dialog als Apple-Lieferant. Die Anleger hätten sich einen Ausblick zumindest bis ins Jahr 2019 gewünscht.
Zweitens ist es unnötig noch zu betonen, dass Apple natürlich zu einer Produktion in der Lage wäre. Was als Beruhigung für die Anleger gedacht war, verwandelte sich zu einem Boomerang, und erneut sackte die Aktie um 20% ab.
Ihr seht, mein Trade hat diesmal leider nicht geklappt. Ich bin jedoch fester Überzeugung, ein gutes Händchen gehabt zu haben - wäre da nicht diese Meldung des Dialog Managements gewesen, was in totaler Verunsicherung geendet ist.
Leider hat mich das gutes Geld gekostet, allerdings lernt man aus Fehlern und auch hier nehme ich für die Zukunft mit, dass ich bei solchen Unsicherheitsfaktoren, die ich trade, eine viel engere Absicherung einbringen muss.
Und mit diesen Worten schaue ich nach vorne, auf den letzten Monat dieses Jahres, auf die Weihnachtszeit und auf meinen Urlaub mit der Familie.
Bis dahin wird es noch ein oder zwei Beiträge von mir geben und ich habe auch schon Ideen. Danach verabschiede ich mich ab dem 25. Dezember dann Richtung Mittelamerika, worauf ich mich sehr freue. Ich freue mich auf Sonne und Meer, aber vor allem darauf, die Zeit mit meiner tollen Familie zu verbringen und für das nicht minder anstrengend-werdende Jahr 2018 Kraft zu tanken - als Pilot und als Trader.
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